Ich hatte ja bereits hier in einem Beitrag über das Wechselmodell geschrieben. Dort hatte ich den damaligen Stand dargestellt, dass die gerichtliche Anordnung des Wechselmodells gegen den Willen eines Elternteils nicht möglich ist.

Ich werde dies nun umschreiben müssen, denn am 27.02.2017 hat der BGH eine bemerkenswerte Entscheidung erlassen (nachzulesen hier) und festgestellt, dass ein paritätisches Wechselmodell auch vom Gericht angeordnet werden kann.

Der Tenor lautet wie folgt:

a)  Eine gerichtliche Umgangsregelung, die im Ergebnis zu einer gleichmäßigen Be- treuung des Kindes durch beide Eltern im Sinne eines paritätischen Wechselmo- dells führt, wird vom Gesetz nicht ausgeschlossen. Auch die Ablehnung des Wechselmodells durch einen Elternteil hindert eine solche Regelung für sich ge- nommen noch nicht. Entscheidender Maßstab der Regelung ist vielmehr das im konkreten Einzelfall festzustellende Kindeswohl.

b)  Die auf ein paritätisches Wechselmodell gerichtete Umgangsregelung setzt eine bestehende Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit der Eltern voraus (Fortführung des Senatsbeschlusses vom 15. Juni 2016 – XII ZB 419/15 – FamRZ 2016, 1439). Dem Kindeswohl entspricht es daher nicht, ein Wechsel- modell zu dem Zweck anzuordnen, eine Kommunikations- und Kooperationsfä- higkeit erst herbeizuführen.

c)  Ist das Verhältnis der Eltern erheblich konfliktbelastet, so liegt die auf ein paritäti- sches Wechselmodell gerichtete Anordnung in der Regel nicht im wohlverstan- denen Interesse des Kindes.

d)  Das Familiengericht ist im Umgangsverfahren zu einer umfassenden Aufklärung verpflichtet, welche Form des Umgangs dem Kindeswohl am besten entspricht. Dies erfordert grundsätzlich auch die persönliche Anhörung des Kindes (im An- schluss an Senatsbeschluss vom 15. Juni 2016 – XII ZB 419/15 – FamRZ 2016, 1439).

Zunächst einmal hat der BGH klargestellt, dass § 1684 BGB, der das gesetzliche Umgangsrecht festgelegt keine Beschränkung des Umgangsrechts dahingehend enthält, dass vom Gericht angeordnete Umgangskontakte nicht zu hälftigen Betreuungsanteilen der Eltern führen dürfen. Vom Gesetzeswortlaut ist vielmehr eine Betreuung des Kindes durch hälftige Aufteilung der Zeiten auf die Eltern erfasst. Aus § 1687 BGB lasse sich eine gesetzliche Festlegung der Kinderbetreuung auf das Residenzmodell nicht herleiten. Die gesetzliche Regelung orientiere sich zwar am Residenzmodell, wonach ein Elternteil das Kind hauptsächlich betreut. Der Gesetzgeber habe allerdings nur die praktisch häufigste Gestaltung als tatsächlichen Ausgangspunkt der Regelung gewählt, diese allerdings nicht als gesetzliches Leitbild festgelegt.

Entgegen der Ansicht der Vorinstanz ordnet der BGH das Wechselmodell nicht der elterlichen Sorge zu, sondern dem Umgangsrecht.

Entscheidender Maßstab ist allerdings wie immer das Kindeswohl, das vom Gericht nach Lage des jeweiligen Einzelfalls zu prüfen ist. Im konkreten, vom BGH entschiedenen Fall hielt sich der Sohn überwiegend bei der Mutter auf und hatte alle 14 Tage am Wochenende mit dem Vater Umgang. Der Vater beantragte ein Wechselmodell, wobei er davon ausging, das Wechselmodell habe auch deeskalierende Wirkung.

Bisher wurde stets argumentiert, dass für ein Wechselmodell unbedingte Voraussetzung eine Kommunikation der Eltern erforderlich ist. Dies hat der BGH in seiner Entscheidung auch klargestellt.

Dass zwischen den Eltern über die Betreuung des Kindes im Wechselmodell Konsens besteht, ist nach dem BGH allerdings keine Voraussetzung für eine entsprechende Anordnung. Auch in anderen Fällen der elterlichen Sorge und des Umgangs ist der Konsens der Eltern nicht unbedingte Voraussetzung. Demzufolge ist das Wechselmodell anzuordnen, wenn die geteilte Betreuung durch beide Eltern im Vergleich mit anderen Betreuungsmodell dem Kindeswohl im konkreten Fall am besten entspricht.

Der BGH führt aus, dass grundsätzlich davon auszugehen ist, dass der Umgang des Kindes mit beiden Elternteilen gemäß § 1626 Abs. 3 Satz1 BGB zum Wohl des Kindes gehört. Mit der Vorschrift ist allerdings noch keine quantitative Festlegung einer zutreffenden Umgangsregelung verbunden. Eine solche muss vielmehr im konkreten Einzelfall dem Kindeswohl entsprechen.

Nach dem BGH ist auf Seiten des Kindes ein Wechselmodell in Betracht zu ziehen, wenn eine auf sichere Bindung beruhende tragfähige Beziehung zu beiden Elternteilen besteht. Auch dem Kindeswillen kommt wesentliche Bedeutung zu.

Der BGH verkennt nicht, dass sich zwischen den Eltern bei der praktischen Verwirklichung der geteilten Betreuung ein erhöhter Abstimmung- und Kooperationsbedarf ergibt. Daher geht er auch davon aus, dass bei bestehender hoher elterlicher Konfliktbelastung das Wechselmodell in der Regel nicht dem Kindeswohl entspricht. Denn das Kind werde durch vermehrte oder ausgedehnte Kontakte auch mit dem anderen Elternteil verstärkt mit dem elterlichen Streit konfrontiert und gerate durch den von den Eltern oftmals ausgeübten „Koalitionsdruck“ in Loyalitätskonflikte.

Dies ist allerdings vom Gericht im Rahmen einer umfassenden Aufklärung konkret festzustellen, wobei in dessen Rahmen auch die persönliche Anhörung des Kindes erforderlich ist.

 

Im Ergebnis hat der BGH nicht das Rad neu erfunden. Er greift in der Entscheidung die altbewährten Prinzipien des Kindeswohls und der Einzelfallentscheidung auf. Das Beachtenswerte an der Entscheidung ist allerdings, dass bisher die Anordnung eines Wechselmodells bei mangelndem Konsens der Eltern noch nicht einmal in Betracht gezogen wurde. Entsprechende Anträge eines Elternteils wurden in der Regel von den Gerichten abgelehnt, da ein Wechselmodell im Gesetz nicht vorgesehen sei.

Diese Praxis lehnt der BGH in der Entscheidung ab und betont ausdrücklich, dass ein Antrag auf Anordnung eines Wechselmodells stets zu prüfen ist unter Berücksichtigung der üblichen Prinzipien, die in Kindschaftsverfahren gelten.