Der Bundesgerichtshof hat im Januar eine Entscheidung veröffentlicht (Urteil hier), die ich doch mit einigem Befremden zur Kenntnis genommen habe. Vom Ergebnis her mag die Entscheidung nicht zu beanstanden sein, aber die Begründung halte ich in einigen Teilen für inhaltlich falsch.

Die Ausgangssituation: Die Eheleute haben im Jahr 1990 geheiratet, die Ehe blieb kinderlos. Die Ehefrau ist Ukrainerin und hat vor der Eheschließung in der Ukraine als Sekretärin gearbeitet. Mit der Eheschließung ist sie nach Deutschland übergesiedelt und hat in Deutschland nie gearbeitet. 1993 hat die Frau die deutsche Staatsangehörigkeit erworben. 2002 trennten sich die Ehegatten, im Jahr 2005 wurde die Ehe geschieden. Die Frau erhielt einen Aufstockungsunterhalt von € 367,10 im Rahmen der Scheidung zugesprochen. Im Jahr 2006 hat der Ehemann eine Abänderungsklage eingereicht mit dem Ziel, eine Befristung und anschließenden Wegfall des nachehelichen Unterhaltes zu erreichen. Die Frau wiederum hat Abänderungswiderklage eingereicht mit dem Ziel, den Unterhalt zu erhöhen, da der Mann mittlerweile mehr verdiene. 

Ich will nun nicht im Einzelnen auf die Begründung des Oberlandesgerichts eingehen, da sie im hier wesentlichen – aus meiner Sicht fragwürdigen – Punkt vom BGH bestätigt wurde.

Dreh- und Angelpunkt des Ganzen ist natürlich die durch die Unterhaltsrechtsreform an Bedeutung gewonnene Frage, ob der Unterhaltsberechtigte durch die Eheschließung ehebedingte Nachteile erlitten hat. Richtigerweise hat der BGH festgestellt, dass alleine in der Übersiedlung nach Deutschland kein ehebedingter Nachteil zu sehen ist. Der BGH betonte, dass die Frau keine Kinder betreut hat und in der Zwischenzeit auch sehr gut deutsch spricht, so dass ihr auch in Deutschland eine Erwerbstätigkeit möglich wäre, wobei er angesichts ihrer Sprachkenntnisse und ihrer Herkunft z.B. als Fremdsprachenkorrespondentin oder Dolmetscherin sogar erweiterte bzw. verbesserte Berufschancen sah.

Das kann man meiner Ansicht nach durchaus vertreten. Auch bei einer zwölfjährigen Ehe gilt grundsätzlich die Pflicht, für den eigenen Unterhalt zu sorgen. Zwar ging der BGH entsprechend seiner Rechtsprechung noch davon aus, dass auch bei langer Ehedauer eine Befristung vorzunehmen ist, was ein bisschen durch die Gesetzgebung überholt wurde (ich habe hier berichtet). Das spielt aber meiner Ansicht nach keine Rolle, denn auch bei einer 12-jährigen Ehe, in der keine Kinder betreut wurden, dürfte eine Befristung vorzunehmen sein, wenn nicht besondere Umstände hinzukommen.

Es stellt sich nun die Frage, welcher Bedarf der Ehefrau zuzurechnen ist, um so ihren Unterhaltsanspruch ermitteln zu können. Dies spielt natürlich auch bei der Ermittlung der ehebedingten Nachteile eine Rolle.

Entscheidend ist in diesem Zusammenhang dann eine „was-wäre-wenn“-Betrachtung, nämlich die Frage, wie die Ehefrau ohne die Eheschließung dagestanden hätte.

Und jetzt kommt’s: Der BGH geht davon aus, dass die Ehefrau ohne die Eheschließung nicht nach Deutschland übergesiedelt wäre, sondern voraussichtlich weiter in der Ukraine gelebt hätte (die hellseherischen Fähigkeiten des BGH beeindrucken immer wieder). Es sei daher auf die Erwerbs- und Verdienstmöglichkeiten der Ehefrau abzustellen, wie sie sich bei einem Verbleib im Heimatland dargestellt hätten. Demzufolge ist der fiktive Bedarf der Ehefrau in der Ukraine niedriger als der in Deutschland.

Außerdem habe die Frau nicht ausreichend dargelegt, warum sie nach der Scheidung nicht wieder in die Ukraine zurückgekehrt sei und dort wieder als Sekretärin gearbeitet habe. Gerade dieses letzte Argument ist meiner Ansicht nach verstörend und widerspricht sämtlichen rechtsstaatlichen Grundsätzen. Der Vollständigkeit halber muss angemerkt werden, dass es sich dabei um die Argumentation des vorangegangenen Oberlandesgerichts handelt, die aber vom BGH nicht beanstandet wurde. Übersetzt heisst das dann wohl, dass von einer Frau trotz 12-jähriger Ehe und mittlerweile erworbener deutscher Staatsangehörigkeit erwartet wird, in ihr Geburtsland zurückzukehren. Denn rein rechtlich ist fraglich, wieweit hier von „Heimatland“ gesprochen werden kann, da die Frau seit fast 10 Jahren deutsche Staatsangehörige ist. Vor gar nicht allzu langer Zeit wurde das internationale Unterhaltsrecht dahingehend geändert, dass auch auf den nachehelichen Unterhalt nur noch deutsches Recht anwendbar sein soll, wenn der Unterhaltsberechtigte sich in Deutschland aufhält. Der Gesetzgeber hat daher hinsichtlich der Verhältnisse, die zugrunde zu legen sind, meiner Ansicht nach klar Stellung bezogen.

Insofern ruft diese aktuelle BGH-Entscheidung bei mir nur Kopfschütteln hervor. Einer deutschen Staatsangehörigen nach 12 Jahren den Umstand nachteilig auszulegen, dass sie nicht in ihr Heimatland bzw. Geburtsland zurückgekehrt ist, wirft viele Fragen auf. Ich denke, das Ergebnis hätte man mit einer etwas geschickteren Begründung durchaus auch vertreten können. Es bleibt abzuwarten, ob der BGH diese Rechtsprechung tatsächlich aufrechterhält.