Iudex non calculat – der Jurist rechnet nicht, heißt es so schön. Angesichts meiner bescheidenen Begeisterung im damals stark unterschätzten Fach Mathematik war also der Beruf des Juristen wie für mich gemacht!

Wer hat diesen Spruch nur geprägt? Und wie kam er darauf?

Wer immer es auch war, er hatte nicht den geringsten Bezug zum Familienrecht. Nicht nur, dass wir tagaus tagein nichts anderes machen als rechnen (insofern erwies sich das Durchhalten in der Schule als hilfreich). Die Berechnungen im Familienrecht sind derart kompliziert, dass man als Rechtsanwalt die allergrößten Schwierigkeiten hat, dem Mandanten irgendwie nachvollziehbare Erklärungen zu liefern.

Fachanwälte für Familienrecht benötigen zwei Staatsexamina, einen abgeschlossenen Fachanwaltslehrgang und unzählige Fortbildungen, um das System familienrechtlicher Berechnungen zu begreifen. Wie kann man da erwarten, dass wir dem Mandanten die Berechnungsvorgänge in einem Beratungsgespräch nahebringen können?

Fangen wir mit dem größten aller Bösewichte, sozusagen dem Darth Vader des Familienrechts an: dem Versorgungsausgleich. Barwertsverordnung, Ost-West-Umrechnung, Wertermittlung, Betriebsrentenumrechner und so weiter und so fort. Allein die vielen Umrechnungstabellen jagen jedem halbwegs normalen Menschen einen gehörigen Schauer über den Rücken. Die kryptischen Auskünfte der Versorgungsträger sind eigentlich nur zu verstehen, wenn man eine versicherungsmathematische Ausbildung (vermutlich mit den entsprechend zahlreichen Fortbildungen) absolviert hat. Dass der Versorgungsausgleich einen undurchdringlichen Dschungel darstellt, zeigt sich schon an der unglaublichen Zahl an falschen Auskünften und Berechnungen der Versorgungsträger. Angeblich sollte ja das unsägliche Versorgungsausgleichsverfahren mit der Familienrechtsreform im Jahre 2009 vereinfacht werden. Aber auch Gespräche mit Kollegen bestätigen, dass von dieser „Vereinfachung“ keiner was gemerkt hat.

Aber damit nicht genug. Selbst wenn man Mandanten hat, die auf den Versorgungsausgleich verzichten, so gibt es ja noch das Unterhaltsrecht! Düsseldorfer Tabelle, Halbteilungsgrundsatz, Wohnvorteil, Ermittlung des relevanten Einkommens… ich könnte tagelang so weitermachen. Es soll Kollegen geben, die ohne Unterhaltsberechnungssoftware hilflos sind. Ich kann zwar dankenswerterweise auch ohne digitale Unterstützung eine Unterhaltsberechnung vornehmen, dennoch: mit iudex non calculat hat das nicht viel zu tun.

Wir sind aber noch lange nicht am Ende. Denn es gibt ja noch den Zugewinnausgleich! Ermittlung des Anfangsvermögens, Ermittlung des Endvermögens, Indexierung des Anfangsvermögens mit dem Verbraucherpreis und und und.

Und auch bei der Verfahrenskostenhilfe bleibt man davon nicht verschont. Die Bedürftigkeit des Mandanten will schließlich unter Berücksichtigung zahlreicher Freibeträge berücksichtigt werden.

Am Ende bleibt festzuhalten: iudex calculat – und wie! Aber man ist ja lernfähig…