Ich hatte bereits einmal versucht, den familienrechtlichen Mythos, dass die Mutter nach der Scheidung immer das alleinige Sorgerecht bekomme in einem Beitrag zu „entzaubern“. Nach wie vor gehen wohl beide Seiten oft noch davon aus, dass nach Trennung bzw. Scheidung das Sorgerecht für die Kinder automatisch der Mutter zugesprochen wird. Viele Frauen nehmen dies als naturgegebene Selbstverständlichkeit hin, Männer als unabänderbare Ungerechtigkeit.
Aber so einfach ist es nicht. Neben den gesetzlichen Voraussetzungen will ich mich in diesem Beitrag daher auch etwas dem Ablauf des gerichtlichen Verfahrens widmen.
Festzustellen ist, dass während der Ehe für die gemeinsamen ehelichen Kinder die gemeinsame elterliche Sorge besteht. Daran ändert sich auch nach der Trennung oder Scheidung nichts. Solange keine Anträge gestellt werden oder keine offensichtliche Kindeswohlgefährdung besteht (die ein Eingreifen des Gerichts oder des Jugendamtes erfordern würde) beschränkt sich das Interesse des Gerichts in der Regel im Scheidungstermin darauf, allenfalls nachzufragen, ob hinsichtlich der elterlichen Sorge und des Umgangs Einigkeit besteht oder Regelungen veranlasst sind. § 1687 BGB bestimmt, dass es auch bei Getrenntleben und Scheidung bei der gemeinsamen elterlichen Sorge bleibt. Dies bedeutet natürlich nicht, dass auch nach der Trennung jede Kleinigkeit zwischen den Eltern abgesprochen werden muss. Alltägliche Angelegenheiten können dabei von dem Elternteil alleine entschieden werden, bei dem das Kind sich aufhält (§ 1687a BGB). Lediglich Angelegenheiten von großer und/oder grundsätzlicher Bedeutung sind abzusprechen. Das bedeutet, der Wochenendausflug obliegt dem Elternteil, bei dem das Kind sich aufhält, ein Umzug ist abzusprechen. Eine ärztliche Behandlung wegen Schnupfen ist nicht abzusprechen, sehr wohl aber eine größere Operation. Und so weiter.
Das Gericht entscheidet zur elterlichen Sorge also nur, wenn einer der Ehegatten (oder beide) einen entsprechenden Antrag auf Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge stellt.
Die Entscheidung richtet sich dabei ausschließlich nach dem Kindeswohl. Und das Gericht gibt sich in aller Regel größte Mühe, dieses durch Zuhilfenahme verschiedenster Fachleute zu ermitteln.
Zunächst einmal ist dabei das Jugendamt zu nennen. Das Jugendamt ist in jeder Kindschaftssache zwingend zu beteiligen. Dem Jugendamt kommt dabei eine Wächteramtsfunktion zu, d.h. der Sachbearbeiter/ die Sachbearbeiterin spricht mit den Eltern, dem Kind und notfalls auch mit anderen Betreuungspersonen, wie dem Kindergarten und der Schule. Basierend auf dem Kindeswohl gibt das Jugendamt schließlich eine Empfehlung ab.
Dann gibt es da noch den Verfahrensbeitand, der von Gerichten erfreulicherweise immer öfter in Anspruch genommen wird. Der Verfahrensbeistand ist als „Anwalt des Kindes“ zu verstehen und vertritt demzufolge die Interessen des Kindes im gerichtlichen Verfahren. Als Sprachrohr des Kindes hat der Verfahrensbeistand nicht in erster Linie das Beste für das Kind zu ermitteln, auch wenn er natürlich das Kindeswohl nicht außer Acht lassen kann. Er bringt vielmehr die Sichtweise und die Wünsche des Kindes in das Verfahren ein.
In den meisten Fällen (zumindest vor dem Amtsgericht München) wird im Rahmen des beschleunigten Verfahrens auch eine Erziehungsberatung angeregt und oft erscheint schon zum ersten Gerichtstermin ein Vertreter einer Erziehungsberatungsstelle..
Zwar hat der Gesetzgeber keinen grundsätzlichen Vorrang der gemeinsamen elterlichen Sorge vorgesehen, dennoch sind die Gerichte ausgesprochen zögerlich, wenn es um die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge geht und versuchen, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, damit die Eltern doch das Sorgerecht gemeinsam ausüben können.
Können sich die Eltern trotz Einwirkung dieser verschiedenen Fachleute und Institutionen nicht einigen, bleibt oft nur die Möglichkeit eines Sachverständigengutachtens. In Form eines familienpsychologischen Gutachtens ermittelt der Sachverständige die für das Kind beste Lösung und gibt dann eine entsprechende Empfehlung ab, der die Gerichte zumeist folgen. Die Erstellung eines Sachverständigengutachtens ist sehr aufwändig und auch kostspielig und verzögert das Verfahren um mehrere Monate, so dass den Eltern meist dringend eine Einigung nahegelegt wird.
Es stellt sich also mitnichten so dar, dass der Mutter grundsätzlich der Vorzug gegeben wird. Woher kommt also dieses Gerücht?
Hierzu sollten wir uns die verschiedenen Entscheidungskriterien im Rahmen von Sorgerechtsverfahren etwas näher ansehen, die in der Gesamtschau eine Beurteilung der Erziehungseignung der Eltern ermöglichen.
Zunächst ist der Kontinuitätsgrundsatz entscheidend, also die Frage, wer hat das Kind bisher überwiegend betreut. Dieser Kontinuität kommt eine ganz entscheidende Bedeutung zu, da davon ausgegangen wird, dass Kontinuität für eine stabile und gesunde Entwicklung des Kindes von überragender Bedeutung ist. Nun ist auch heute noch die klassische Hausfrauenehe weit verbreitet, in welcher der Ehemann für den Familienunterhalt sorgt, während sich die Ehefrau um den Haushalt und die Kinder kümmert. Im Falle einer Trennung hat dann natürlich die Ehefrau im Sorgerechtsverfahren unter Kontinuitätsgesichtspunkten einen ganz entscheidenden Vorteil. Der Mann ist in solchen Fällen meist aufgrund seiner Berufstätigkeit kaum in der Lage, die Versorgung des Kindes ohne umfassende Fremdbetreuung zu gewährleisten, während die Mutter weiter zur Verfügung steht (was allerdings angesichts des neuen Unterhaltsrechts natürlich auch neu zu beurteilen ist).
Ein weiteres Entscheidungskriterium ist die Bindung des Kindes an den jeweiligen Elternteil. Gerade in den oben genannten Hausfrauenehen werden vor allem kleine Kinder eine engere Bindung zur Mutter haben. Dies ändert sich oft mit zunehmendem Alter der Kinder, allerdings ist gerade die Bindungsqualität oftmals nur im Rahmen eines Sachverständigengutachtens ermittelbar. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch die Bindungstoleranz eines jeden Elternteils, d.h. die Fähigkeit eines jeden Elternteils, die Bindung des Kindes zum anderen Elternteil zu respektieren und zu fördern.
Als Nächstes wird der Förderungsgrundsatz untersucht, der sich mit der Frage befasst, welcher Elternteil das Kind besser fördern kann. Es geht dabei nicht nur um die schulische Förderung, sondern im Mittelpunkt steht die Frage, welcher Elternteil das Kind in seiner Erziehung besser unterstützen kann und die stabilere Erziehungsperson ist.
Schließlich ist natürlich der Kindeswille nicht außer Acht zu lassen. Dieser gewinnt an Bedeutung, je älter das Kind ist. Von Kleinkindern dürften kaum verlässliche Aussagen zu den eigenen Wünschen und Vorstellungen zu erwarten sein. Je älter das Kind allrdings wird, desto bedeutender sind natürlich auch dessen Wünsche. In der Regel sind Kinder vor einer Sorgerechtsentscheidung anzuhören, nach dem 14. Lebensjahr schreibt das Gesetz in § 159 FamFG sogar zwingend die Anhörung des Kindes durch das Gericht vor.
Erst nach sorgfältiger Abwägung aller dieser Kriterien kann im Streitfall eine Entscheidung im Sorgerechtsverfahren zugunsten eines Elternteils getroffen werden. Sorgerechtsverfahren sind daher sehr komplexe, für alle Beteiligten belastende und sehr langwierige Verfahren. Vielleicht ist das auch ein Grund, weshalb Richter oft versuchen, eine einvernehmliche Lösung bei gemeinsamer elterlicher Sorge (z.B. durch Vollmachten) herbeizuführen.
Lisa Rosenbaum
Vielen Dank für den interessanten Beitrag. Lange dachte ich, dass die Mutter das alleinige Sorgerecht nach der Scheidung bekommt. Gut, dass ich auf diesen Artikel gestoßen, denn so konnte ich etwas dazu lernen.