Sowohl in der Rechtsprechung und Literatur, als auch in meiner persönlichen Praxis ist das Wechselmodell hochaktuell. Da offenbar im Bezug auf das Wechselmodell zahlreiche Unsicherheiten und auch Fehlinformationen vorliegen, will ich mich heute der Aufgabe annehmen, ein paar Zeilen zum Wechselmodell zu schreiben und so vielleicht einige Unklarheiten aus der Welt schaffen (insofern wäre dieser Artikel eigentlich auch für die Rubrik Mythen des Familienrechts geeignet).
Was ist eigentlich das Wechselmodell?
Ein echtes Wechselmodell liegt dann vor, wenn ein Kind (oder mehrere Kinder) annähernd gleichwertig von beiden Elternteilen betreut wird und sich die Eltern die Verantwortung teilen.
Da gibt es nun natürlich mehrere Möglichkeiten.
Die einfachste praktische Umsetzung des Wechselmodells ist die, in der die Eltern zwei Haushalte haben und sich die Kinder in jedem Haushalt abwechselnd gleich lange, z.B. im wöchentlichen Rhythmus aufhalten.
Dieser Rhythmus kann auch im sogenannten Nestmodell durchgeführt werden. Bei diesem Modell gibt es im Extremfall drei Haushalte. Einmal den Haushalt der Kinder, den diese dauernd bewohnen und daneben noch je einen Haushalt jedes Elternteils. Die Eltern wechseln sich paritätisch im Haushalt der Kinder (meist die ehemalige Ehewohnung) mit der Betreuung und Pflege ab. Meine Erfahrung zeigt, dass dies in der Regel nicht besonders lange gut geht. Das Nestmodell als Dauerlösung stellt daher einen absoluten Ausnahmefall dar.
Davon zu unterscheiden ist der erweiterte Umgang. Dabei handelt es sich streng genommen um kein Wechselmodell, sondern das Kind hat seinen überwiegenden Aufenthalt bei einem Elternteil, während der andere Elternteil einen über das übliche Maß hinausgehenden Umgang ausübt. Dabei kann der Umgang sich einer faktischen Mitbetreuung annähern. Dennoch spricht man juristisch nicht von einem Wechselmodell, wenn der Hauptanteil der Verantwortung bei einem Elternteil liegt.
Ein echtes Wechselmodell liegt also nur vor, wenn die Kinder in gleichem oder annähernd gleichem Umfang von beiden Teilen nicht nur zeitlich betreut werden, sondern sich die Eltern auch die Verantwortung annähernd gleich teilen (z.B. Arztbesuche, Elternsprechtage etc.).
Kann ein Wechselmodell auch gegen den Willen eines Elternteils umgesetzt werden?
Das ist die Frage aller Fragen. Sehr häufig wünschen sich vor allem Väter nach der Trennung, dass die Betreuung der Kinder gleich aufgeteilt wird, dies wird als „fair“ angesehen. Oft sperren sich die Mütter aus unterschiedlichen Gründen dagegen. Nicht selten werden in der Auseinandersetzng finanzielle Motive erwähnt (dazu später). In Befragungen sprechen sich oft auch Kinder für ein Wechselmodell aus, da sie dieses als „gerecht“ empfinden. Dies ist nur nachvollziehbar, da ein Wechselmodell natürlich vordergründig dem Bedürfnis des Kindes nach dem Erhalt beider Elternteile entspricht. Allerdings ist es hier geboten, genau hinzuschauen. Man kann oft nach gewisser Zeit eine Überforderung bei Kindern angesichts der ständigen Aufenthaltswechsel beobachten und Kinder sehnen sich dann nach einem Zuhause, einem Aufenthaltsort, der ihren Lebensmittelpunkt darstellt.
Natürlich kann ein Wechselmodell einverständlich immer praktiziert werden, da mischt sich keiner ein. Interessant wird es nur, wenn ein Elternteil gerne das Wechselmodell möchte und der andere das ablehnt.
Gerade in konflikthaften Trennungen ist daher durchaus die Frage angebracht, ob man ein Wechselmodell auch erzwingen kann. Ich widme mich dabei nachfolgend dieser Frage ausschließlich in juristischer Hinsicht. Die Diskussion über Sinn und Unsinn eines Wechselmodells aus psychologischer Sicht überlasse ich dabei den Fachleuten (wer dazu gerne mal ein bisschen mehr lesen möchte: eine recht umfangreiche Literaturliste dazu ist hier veröffentlicht). Ich will nur den Stand der Rechtsprechung darstellen.
Um das Ergebnis schon vorweg zu nehmen: die gerichtliche Anordnung eines Wechselmodells kommt derzeit nach der herrschenden Rechtsprechung wohl nicht in Betracht. Ich sage bewusst „derzeit“, denn es ist momentan viel im Fluss. Zu kaum einem Thema wird derzeit so viel geschrieben und diskutiert wie zum Wechselmodell, da kann sich also noch viel ändern. Im Moment stehen sich dabei im Wesentlichen zwei Lager gegenüber: Die einen argumentieren, dass ein Wechselmodell nach geltendem Recht mangels Rechtsgrundlage nicht angeordnet werden könne, während die anderen der Ansicht sind, dass eine gerichtliche Anordnung aus Kindeswohlgründen sehr wohl möglich sein sollte.
Nach einer Entscheidung des OLG Saarbrücken ist das Wechselmodell eine Frage der Sorgerechtsausübung und nicht der Sorgerechtszuweisung. Das ist daher entscheidend, da das Wechselmodell damit nur eingeschränkt der richterlichen Regelungsbefugnis unterworfen ist. Das Gericht kann zwar eine (auch sehr weitgehende) Umgangsregelung treffen, allerdings eben nicht gegen den Willen eines Elternteils ein Wechselmodell im Sinne gleicher Betreuung und Verantwortungsübernahme anordnen.
Bedeutsam ist dabei sicherlich, dass sich das Bundesverfassungsgericht- immerhin als höchste Instanz unseres Landes- am 24.06.2015 gegen die gerichtliche Anordnung eines Wechselmodells ausgesprochen hat (die Entscheidung kann gerne hier nachgelesen werden).
Die Rechtsprechung (allen voran das Bundesverfassungsgericht) setzt für ein Wechselmodell eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Elternteilen und ein Mindestmaß an elterlicher Kooperation voraus. Da wird es bei elterlicher Konflikten natürlich noch recht schwierig. Ich kann nur aus meiner beruflichen Erfahrung sagen, dass rein faktisch ein Wechselmodell zum Scheitern verurteilt ist, wenn die Eltern nicht miteinander sprechen können, da natürlich bei gleichwertiger Betreuung Absprachen im Hinblick auf das Kind unerlässlich sind. Insofern ist diese Rechtsprechung nur konsequent.
Es gibt zwar durchaus auch vereinzelt gerichtliche Entscheidungen, in welchen ein Wechselmodell angeordnet wurde. In diesen Fällen wurde allerdings entweder schon in der Vergangenheit längere Zeit ein Wechselmodell gelebt, das dem Kindeswohl diente und einseitig aufgekündigt wurde oder das Kind war schon älter und hat hier einen klaren Willen geäußert.
Im Ergebnis wird man allerdings davon ausgehen müssen, dass nach der derzeitigen Rechtslage bei Konflikten zwischen den Eltern zwar die Anordnung sehr großzügigen und erweiterten Umgangs, nicht allerdings die Anordnung eines Wechselmodells in Betracht kommt.
Entfällt bei einem echten Wechselmodell die Zahlung von Kindesunterhalt?
In diesem Punkt unterliegen die meisten einem fatalen Irrtum. Denn die Antwort ist ganz klar: NEIN! Auch bei einem tatsächlich gelebten echten Wechselmodell ist weiterhin Kindesunterhalt geschuldet- wenn auch in reduziertem Umfang. Bei den Auseinandersetzungen um das Wechselmodell hört man oft von dem Elternteil, der das Wechselmodell begehrt -sagen wir einfach mal beispielhaft der Vater-, der andere Elternteil -dann also die Mutter- sperre sich nur, weil sie dann keinen Unterhalt mehr bekäme. Umgekehrt hört man dann von der Mutter, der Vater interessiere sich ja gar nicht für die Kinder, der wolle das Wechselmodell nur, um keinen Unterhalt mehr zahlen zu müssen.
Nun ja, so einfach ist die ganze Sache leider nicht. Tatsächlich ist sie sogar höchst kompliziert. Der BGH hat in einer Entscheidung klargestellt, dass auch bei einem echten Wechselmodell Kindesunterhalt weiter geschuldet ist, wobei für die Ermittlung des Haftungsanteils nach der Methode des BGH ein mathematisches Grundstudium hilfreich wäre.
Ich will jetzt niemanden mit dem genauen Rechenweg des Unterhaltes langweilen (dazu wenden Sie sich an den Anwalt Ihres Vertrauens), aber man kann sich merken, dass die Formel Wechselmodell = kein Unterhalt zu kurz gedacht ist.
Nach der Rechtsprechung des BGH haften beim Wechselmodell beide Eltern gemäß § 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB für den Unterhalt des Kindes. Das bedeutet, dass in einem ersten Schritt wie üblich der Bedarf des Kindes ermittelt wird. Hier zu berücksichtigen sind die Mehrkosten, die durch das Wechselmodell anfallen (z.B. erhöhte Wohnkosten, Fahrtkosten etc.). Sind beide Eltern leistungsfähig, so haften sie auch beide für den Barbedarf des Kindes. Ist nur ein Elternteil leistungsfähig, so wird nur dieser für den Barbedarf aufkommen müssen, wobei eine Korrektur vorgenommen wird durch Herabstufungen von der Düsseldorfer Tabelle.
Es ist dann recht umstritten, wie das Kindergeld zu behandeln ist. Die eine Ansicht will das volle Kindergeld vom Bedarf abziehen, die andere nur das halbe Kindergeld.
Schließlich haften für den sich dann ergebenden Barbedarf des Kindes die Eltern nach der Rechtsprechung des BGH anteilig nach ihren Erwerbs- und Einkommensverhältnissen. Dabei sind Kosten immer bei demjenigen zu berücksichtigen, der sie aufgewandt hat.
Kompliziert (oder besser gesagt: NOCH komplizierter) wird es aber natürlich durch die Frage, wer denn eigentlich den Unterhalt geltend machen kann. Grundsätzlich ist der Elternteil zur Geltendmachung des Kindesunterhaltes berechtigt, in dessen Obhut sich das Kind befindet. Wie ist es aber beim echten Wechselmodell? Hier liegt der Schwerpunkt der Betreuung nicht bei einem Elternteil, so dass auch nicht ein Elternteil das Kind im Verfahren gegen den anderen vertreten kann.
Der Unterhalt begehrende Elternteil muss dann entweder die Bestellung eines Pflegers für das Kind beantragen, der das Kind dann bei der Geltendmachung des Unterhaltes vertritt oder er muss beantragen, dass ihm die Befugnis zur Entscheidung über den Unterhalt gemäß § 1628 BGB alleine übertragen wird. Der Weg über § 1628 BGB ist hochumstritten und aus meiner Sicht auch nicht ideal, so dass die Bestellung eines Ergänzungspflegers praktikabler sein dürfte.
Man kann über das Wechselmodell ganze Bücher füllen (tatsächlich wird das auch getan), aber ich habe versucht, einen groben Überblick zu verschaffen und Problembewusstsein zu schaffen. Im Rahmen eines solchen Artikels alle Diskussionspunkte darzustellen, würde sowohl den Rahmen sprengen, als auch die Aufmerksamkeit des Lesers aufs Äußerste strapazieren.
Belassen wir es daher zunächst bei diesem kleinen Überblick.
Update 27.02.2017: Der BGH hat am 27.02.2017 eine Entscheidung erlassen, in welcher er den Weg bereitet hat für eine Anordnung des Wechselmodells auch gegen den Willen eines Elternteils. Ich habe hierüber hier in einem Beitrag berichtet.